Die Verbreitung von Desinformation hat in der Zeit der COVID-19-Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht: Verfassungsfeinde streuten gezielt Falschmeldungen, um ein Klima des Widerstands gegen Staat und Demokratie zu befördern. Russische und prorussische Akteure bedienten sich der Desinformation, um zum Beispiel das Bild einer „Russophobie“ in Deutschland zu zeichnen, sich zu Opfern zu stilisieren und den russischen Angriffskrieg zu rechtfertigen. Das Internet mit seinen Verbreitungsmöglichkeiten bietet politisch motivierten Einzelpersonen und Gruppierungen einen beinahe grenzenlos erscheinenden Resonanzraum für ihre oft emotional aufgeladenen „Fake News“.
Wie groß ist die Gefahr, die von Desinformation für unsere freiheitliche Demokratie ausgeht? Welchen Strategien folgen inländische Extremisten und ausländische Akteure bei der Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungsnarrativen? Wie lässt sich die Resilienz gegen Desinformation stärken? Um diese und andere Fragen drehte sich das 23. Herbstgespräch des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hessen am 29. November 2022. Unter der Moderation von Thomas Kreutzmann (Journalist, Autor) brachten Dr. Andreas Fahrner (Bereichsleiter Auswertung, Bundesnachrichtendienst), Julia Smirnova (Analystin, Institute for Strategic Dialogue), Florian Flade (Journalist, WDR) und Tom Buschardt (Kommunikations- und Medientrainer) als Podiumsgäste ihre jeweiligen Perspektiven auf das Thema ein.
Angriffe auf die Wahrheit
Das Herbstgespräch fand wegen der weiterhin pandemischen Lage auch bei seiner 23. Auflage noch nicht im gewohnt großen Rahmen, sondern mit nur etwa 100 Präsenzgästen statt. Wer keinen Platz mehr im Saal erhielt, hatte die Möglichkeit, den Live-Stream der Veranstaltung zu verfolgen. Hessens Innenminister Peter Beuth warnte in seinem Eingangsimpuls vor den Gefahren der Desinformation: „Fake-News, Falschmeldungen, Deep-Fakes, Verschwörungserzählungen und Desinformation sind die Schlagworte, hinter denen sich ,Angriffe auf die Wahrheit‘ verbergen. Diese Angriffe zielen auf unsere Werte und damit auf unsere Demokratie.“
Stabile freiheitliche Demokratien hätten eine große Strahlkraft und würden von autokratischen Staaten wie Russland und China als Bedrohung wahrgenommen, sagte Innenminister Beuth. Grundprinzipien wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stellten autoritäre Regime infrage. Daher sei Autokraten daran gelegen, Demokratien als zerstritten, heuchlerisch und schwach darzustellen.
Desinformationsakteure aus dem In- und Ausland
Bei ihren Aktivitäten könnten Desinformationsakteure im Ausland auch auf Unterstützung hierzulande bauen. „Rechtsextremisten, Reichsbürger und Personen, die den Staat zu delegitimieren versuchen, geht es bei ihrer Mobilisierung insbesondere um die Gegnerschaft zur verfassungsmäßigen Ordnung. Jedes Thema, das ihnen dabei nützlich erscheint, greifen sie auf“, sagte Innenminister Beuth. Wegen des sinkenden Interesses am Thema „Corona-Schutzmaßnahmen“ hätten nicht wenige Extremisten einen thematischen Schwenk hin zu pro-russischen Standpunkten vollzogen; daher könnten sie im Hinblick auf Desinformation auch nicht getrennt von Akteuren aus dem Ausland betrachtet werden.