Es ist wichtig, „dass Medien, Wissenschaft, aber auch die politische Bildung, die ,Modernisierung‘ des Rechtsextremismus wahrnehmen, um dem etwas entgegenhalten zu können“. Auf diese Entwicklung machte in einem Vortrag 2021 bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bremen der Landesbeauftragte und Leiter des Politischen Bildungsforums der Hansestadt, der Politikwissenschaftler und Soziologe Dr. Ralf Altenhof, aufmerksam. Der Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Prof. Dr. Uwe Backes fasste bei der Veranstaltung ergänzend einige „Ideologieelemente der ,Modernisierer‘“ zusammen: „Rechtsfeminismus: Anklage gegen den ,frauenfeindlichen Islam‘, Anti-Homophobie, Kampf gegen den ,homophoben Islam‘, Antitotalitarismus, Anklage gegen den ,totalitären Islam‘“, Verteidigung des ,jüdisch-christlichen Abendlandes‘ und Ethnopluralismus statt Ethnozentrismus“.
Ein neues Kleid des Rechtsextremismus
Das vor allem von martialischen Neonazis und grölenden Skinheads mit Glatzen und Springerstiefeln, aber auch von Angehörigen rechtsextremistischer Parteien in Anzügen geprägte Bild des Rechtsextremismus gehört längst der Vergangenheit an. Auftreten und Sprache der Rechtsextremisten haben sich geändert. Hierzu trägt vor allem die „modern“ anmutende Neue Rechte bei, deren „politische[r] Resonanzraum sich seit einigen Jahren erheblich erweitert“ (Uwe Backes, 2018) hat. Die Neue Rechte – insbesondere die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) – vermeidet vom Nationalsozialismus geschaffene und missbrauchte Begriffe; so verwendet sie für „Rasse“ das Wort „Ethnie“, aus rassistisch motivierter Apartheit wird „Ethnopluralismus“. Insgesamt fokussiert sich die IBD auf eine angeblich homogene „Kultur“ und eine einheitliche „nationale Identität“.
Ihren Extremismus kleidet die IBD in die Formel „Tugenden des Widerstandes“. Als rechtsextremistische Organisation hat sie überdies die Chuzpe, sich auf die „Akteure der Weißen Rose als historische Vorbilder“ zu berufen, obwohl gerade diese Widerstandskämpfer sich gegen den Nationalsozialismus auflehnten. Ist diese (sprachliche) Verdrehung der historischen Tatsachen seitens einer rechtsextremistischen Organisation ungeheuerlich, so spricht der Politologe Dr. Steffen Kailitz (2018) sogar von einer „Begriffsverschiebung in den Köpfen“ in einem Teil der Bevölkerung. Der Soziologe Dr. Johannes Kiess (2018) verweist in diesem Zusammenhang auf die damit verbundene Gefahr: „,Viele Menschen mit rechtsextremen Positionen würden sich selbst deshalb gar nicht mehr als rechtsextrem wahrnehmen, weil es nicht mehr um die Nähe zum Nationalsozialismus ginge‘“.
Die Neue Rechte
Die Neue Rechte laut Definition des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) im 2021 erschienenen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2020 ein
„informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen [...], in dem rechtsextremistische bis rechtskonservative Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. Hierfür werden parlamentarische und außerparlamentarische Bewegungen, metapolitische Theoriebildung und Praxis – also die Einflussnahme auf den vorpolitischen Raum, die den Boden für die erfolgreiche politische Verwirklichung dieser antidemokratischen Positionen bereiten soll – mit Protest- und Demonstrationsinitiativen eng verzahnt. Die Akteure füllen innerhalb dieses Netzwerks unterschiedliche und teils komplementäre Funktionen und Rollen aus, die dem gemeinsamen Ziel einer ,Kulturrevolution von rechts‘ dienen sollen und sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen richten“.
Die Neue Rechte bezieht sich unter anderem auf antidemokratische Vordenker der Konservativen Revolution während der Weimarer Republik und strebt die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates an. Mittels einer kulturellen Einflussnahme, die in eine Massenbewegung münden soll, ist es das Ziel, der Demokratie letztlich ihre Legitimation zu entziehen und das politische System von Grund auf zu ändern.
Gehört zu der Neuen Rechten unter anderem die IBD als aktionsorientierte außerparlamentarische Jugendorganisation, die sich gegen Migration, die angebliche „Islamisierung“ Deutschlands und einen angeblichen von den Regierenden betriebenen „Bevölkerungsaustausch“ wendet, so hat das BfV darüber hinaus das Institut für Staatspolitik und den Verein Ein Prozent e. V. als Verdachtsfall im Rahmen seiner Beobachtung der Neuen Rechten eingestuft. Die COMPACT-Magazin GmbH beobachtet das BfV als gesichert rechtsextremistische Bestrebung.
„Begriffsverschiebung in den Köpfen“ – inhaltliche Diskursverschiebung von „links nach rechts“
„Begriffsverschiebung in den Köpfen“ und inhaltliche Diskursverschiebung von "links nach rechts" sind die vorrangigen Ziele der Neuen Rechten. Dabei propagiert diese in ihrer politischen Theorie eine autoritär-oligarchische Staatsidee. In einem solchen Staat sollen vor allem die „intellektuell-kulturellen Eliten“ das Sagen haben. Die hierfür notwendige „Begriffsverschiebung in den Köpfen“ und die Diskursverschiebung von „links nach rechts“ bezeichnet die Identitäre Bewegung (IB) als „Metapolitik“. Es sollen zum Beispiel über Videoplattformen, soziale Netzwerke, Veranstaltungen, Bücher und Zeitschriften Diskursverschiebungen in der Gesellschaft von „links nach rechts“ vorangetrieben werden. Auf ihrer Internetseite beschreibt die IB ihre „Metapolitik“ wie folgt:
„Wir glauben, dass politische Veränderung nicht nur in den Parlamenten und der Parteipolitik möglich ist, sondern sich ebenso im Kulturbetrieb, den öffentlichen Debatten, den Medien und auf der Straße abspielt. Wir handeln daher in einer Art ,vorpolitischem Raum‘, der den Diskurs bestimmt und somit als Grundlage für direkte und konkrete politische Entscheidungen dient. Wir streiten für einen patriotischen Normalzustand, und unsere politische Arbeit wirkt daher auf verschiedenste Räume des gesellschaftlichen Lebens“.
Im Rahmen ihres „Streits für einen patriotischen Normalzustand“ im Sinne eines übersteigerten Nationalismus missbraucht die Neue Rechte sowohl die Sprache als auch die durch sie artikulierten Inhalte, um mit eigentlich unverdächtigen Vokabeln rechtsextremistisches Denken in die Gesellschaft zu tragen und dort zu verankern (= Reframing). Mit Hilfe dieser Methode sollen möglichst viele Menschen in das „rechte Lager“ gezogen werden. Die Neue Rechte versucht zu suggerieren, dass sie mit ihren Begrifflichkeiten etwas Positives beschreibt. So verfremdet sie den in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft positiv besetzten Begriff „Pluralismus“, indem sie ihn mit dem neutralen Begriff „Ethnie“ verbindet, woraus das Kompositum „Ethnopluralismus“ entsteht.
Laut einer Definition der Bundeszentrale für politische Bildung kennzeichnet das Wort „Pluralismus“
„als Begriff der politischen Theorie [...] die moderne Lebenswelt in den hochindustrialisierten Gesellschaften der westlichen OECD [Organization for Economic Co-operation and Development - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] -Länder. Als Leitbild der Legitimität moderner Demokratien zielt P[luralismus] auf ein freies politisches und gesellschaftliches Zusammenleben, das die liberalen Grundrechte sowie die Vereinigungsfreiheit respektiert und jegliche rassische, geschlechtliche und politische Diskriminierung untersagt“.
„Ethnie“
„Ethnie“ laut eines Lexikoneintrags im Internet des Magazins Spektrum der Wissenschaft eine
„familienübergreifende und familienerfassende Gruppe, die sich selbst eine [...] kollektive Identität zuspricht. Dabei sind die Zuschreibungskriterien, welche die Außengrenzen setzen, wandelbar. Die Bildung von Ethnien beruht auf einer Definition, die von den Mitgliedern selbst stammt, und ist in einer Dichotomie von ,Wir-Andere‘ [...] verankert. Vier Aspekte können als Basis zur Identifikation ethnischer Gruppen herangezogen werden: gemeinsame Kultur (Sprache, Religion, Normen, Werte und Traditionen); gemeinsame Herkunft und Geschichte; besondere Bevölkerungsstrukturen einschließlich sozialer Interaktionen und räumlicher Konzentration sowie physische Merkmale und Verhaltensweisen“.
Indem die IB aus beiden Begriffen den Terminus „Ethnopluralismus“ bildet und öffentlich propagiert, behauptet sie, sich für die Völkervielfalt einzusetzen. Dies klingt vordergründig positiv, tatsächlich aber strebt die IB einen strikten Nationalismus an, der „fremde“ Menschen isoliert und innerhalb der eigenen „Ethnie“ Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die angeblich inkompatiblen bzw. dysfunktionalen Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen „Ethnie“, die neben einer anderen „Ethnie“ existiert. Dieser Volksbegriff steht bei der Neuen Rechten nicht für die Herkunft im Sinne der Staatsangehörigkeit, sondern für die biologische Abstammung, das ethnisch bedingte Verhalten und somit auch für die vererbte Kultur von Menschen.
Emotionalisierte Sprache
Die Neue Rechte ist jedoch nicht nur bei Wortschöpfungen erfinderisch, sondern versteht es auch, mittels ihrer Sprache Emotionen zu transportieren. Vor dem Hintergrund der #MeToo- und Flüchtlingsdebatte machte die IBD 2018 im Internet und in den sozialen Medien auf die Kampagne „120 Dezibel“ aufmerksam. Diese richtete sich an „Frauen und nur an Frauen“ und thematisierte die Notwendigkeit von Selbstverteidigung mittels eines Taschenalarms. In einem Video („Frauen wehrt euch! 120 Dezibel #120db“) traten Frauen auf, die in verschiedene Opferrollen schlüpften und dabei unter anderem Folgendes sagten:
„Meine Name ist Mia. Mein Name ist Maria. Mein Name ist Ebba. [...] Ich wurde in Kandel erstochen. Ich wurde in Malmö vergewaltigt. Ich wurde in Rotherham missbraucht. Und ich wurde in Stockholm überfahren. Es dauerte stundenlang. Keiner war da, um mir zu helfen. Ich bin irgendeine Frau. Ich bin Mia, Maria und Ebba. Sie könnten ich sein, und ich könnte sie sein. [...] Wir sind nicht sicher, weil ihr uns nicht schützt, weil ihr euch weigert, unsere Grenzen zu sichern, weil ihr euch weigert zu kontrollieren, wer hier hereinkommt [...]. Wegen eurer Zuwanderungspolitik stehen wir bald einer Mehrheit von jungen Männern aus archaischen, frauenfeindlichen Gesellschaften gegenüber“.
Auf größtmögliche Wirkung bedacht, verwendete die IBD hierfür die rhetorische Figur der Anapher (einmalige oder mehrmalige Wiederholung eines Wortes oder eines Satzes zu Beginn einer Abfolge von Sätzen).
Vordergründig gesehen versuchte die IBD Frauen und ihren Anliegen mittels dieses Videos ein Forum zu geben. Tatsächlich erzeugte die IBD aufgrund der emotionalen Machart in Sprache, Bild und Ton eine identifikationsstiftende bzw. betroffen machende Wirkung und damit Politisierung der Betrachter. Gleichzeitig reduzierte die IBD das hochsensible gesamtgesellschaftliche Thema der Gewalt gegen Frauen auf einen singulären Aspekt: die monokausale Zuweisung von Gewalt gegen Frauen in Richtung „kulturfremder“ Migranten.
„Bevölkerungsaustausch“ und „Biotechnologie“
Jüngst gruppierte Martin Sellner, ein maßgeblicher Protagonist der IB, auch die Begriffe bzw. Themen „Impfzwang“, „Bevölkerungsaustausch“, „Ersetzungsmigration“ und moderne „Biotechnologie“ zu einem, wie er es nannte, „Gedankenexperiment“. In der von dem Institut für Staatspolitik herausgegebenen Zeitschrift Sezession behauptete er am 3. Januar 2022:
„Das, was man damit erzeugen würde, hätte mit einem historisch gewachsenen deutschen Volk wenig bis gar nichts mehr zu tun. [...] Die Biotechnik, die mit dem Vorwand, das Volk zu stärken und zu optimieren, implementiert wurde, wäre in diesem Gedankenspiel zur Zerstörerin des Volkes geworden. Als Biomasse würde das Volk zuerst denaturiert und dann, unter Ausscheidung alles Unerwünschten, in eine neue Form gegossen werden. Auch das Einmischen fremder, ,nichtdeutscher‘ Genstränge zur ,Optimierung‘ dieses Kunstvolkes wäre nötig, wenn es Produktionsvorteile brächte. Was dabei herauskäme, wäre ein geboostertes, mobilgemachtes Volkssubjekt, das sich, bar jeder echten Identität, nur noch in der nackten Ausübung der Macht seiner Existenz vergewissern könnte. Der neue biotechnische Adel würde genetisch wenig Gemeinsamkeit mit dem obsoleten ,Altvolk‘ verspüren. Sogar eine Art geistiger Bürgerkrieg zwischen einer völkischen, wissenschafts- und technikkritischen und einer biotechnisch-futuristischen Genetikelite kann die Phantasie sich ausmalen. [...] Zu Ende gedacht bedeutet der Sieg in diesem Wettlauf nämlich den Verlust des eigenen Wesens“.
Das Zitat zeigt, dass die Neue Rechte die Sprache und damit auch die Inhalte instrumentalisiert, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dabei setzt sie auf zwei Strategien: Zum einen wandelt die Neue Rechte Begriffe ab, um deren Inhalte im eigenen Interesse eine neue Bedeutung zu geben, zum anderen erzeugt sie Schlagwörter zur Vereinfachung ihrer Ideologie – eine Methode, die bereits die Nationalsozialisten erfolgreich anwendeten. So wird letztlich in der Kombination beider Methoden in dem Beitrag Martin Sellners aus „Biotechnik“, „Biomasse“, „Genstränge“, „Kunstvolk“ und „boostern“ eine „Genetikelite“, sodass das Volk angeblich seine Identität verliert:
„Die Frage, wie sich das menschliche Dasein zur Technik verhalten kann, ist vermutlich die entscheidende politische Frage des 21. Jahrhunderts und ihr neues politisches Zentralgebiet. [...] Nur ein tiefes rechtes Denken, das im eigenen Sprachraum wurzelt, hat die Chance, diese Frage überhaupt richtig zu stellen“.
Ebenso widmet die IBD – wie viele andere Akteure auch – auf der Internetseite Rechtsklick die Parole der friedlichen Revolution in der DDR „Wir sind das Volk!“ um: Eine Minderheit von „Impfgegnern“ wird zu „dem Volk“ stilisiert, das angeblich zugunsten von „Eliten“ und „Globalisten“ seiner (wirtschaftlichen) Existenz beraubt werde.
„Wir haben die Nase voll davon, nur das Melkvieh für die völlig abgehobene Politik der Eliten zu sein. Wir sind der Souverän und wir sind Viele. Wir müssen zusammenhalten und gegen die Maßnahmen rebellieren, die unsere wirtschaftlichen Existenzen und die unserer Mitmenschen und Freunde gefährden. Wir dürfen nicht zulassen, dass auf der einen Seite Globalisten Milliardengewinne einstreichen und die Kosten der Krise auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Die Politik muss dem Volk dienen und wir sind das Volk!“
Nur aufgrund eines Eintrags im Impressum ist die Internetseite der IBD zuzuordnen.
Die inhaltliche Diskursverschiebung „von links nach rechts“ versucht die Neue Rechte aber auch in eher „alltagsbezogenen“ Angelegenheiten anzustoßen. Der Beitrag „Mit Kindern auf der Demo“ von Ellen Kositza, einer Redakteurin der Zeitschrift Sezession, ist hierfür ein Beispiel. Am 30. Dezember 2021 berief sich Kositza auf ein aktuelles Ereignis, wonach eine gegen die staatlichen Anti-COVID-19-Maßnahmen demonstrierende Mutter versucht hatte, mit ihrem Kleinkind eine Polizeikette zu durchbrechen. „Das Netz tobt“, so Kositza,
„eine Mehrheit brüllt: Was haben Kinder auf Demonstrationen zu suchen? Auch viele konservative, gar rechte Kommentatoren sehen es so: Laßt die Kinder aus dem Spiel“.
Ihren Artikel leitete Kositza wie folgt ein:
„Linke Eltern gingen mit ihren Kindern früher auf Demos. Gegen Atomkraft, gegen den Vietnamkrieg, gegen allgemeine ,Repression‘. Konservative fanden das damals widerlich“.
Kositza kam zu dem Schluss:
„Ich bin dafür. Für Kinder auf Demos. Wie die Grünen, wie die Alternativen annodazumal: Kinder dürfen mit. Sie zählen nämlich. Wenn auch zunächst als Anhängsel. Irgendwann sind sie es nicht mehr, sondern gehen aus eigener Entscheidung mit oder eben nicht mehr. Prägend aber war es so oder so“.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob diese Haltung im Rahmen des einschlägigen Demonstrationsgeschehens eine größere Rolle spielen wird.
Erfolg der Diskursverschiebungen?
„Eindeutig und offen rechtsextreme Einstellungen werden vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt und sind über die Gesamtgesellschaft betrachtet weiter rückläufig“, stellt im Ergebnis die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene und im Juni 2021 veröffentlichte Studie „Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21“ fest. Auf den ersten Blick mag dieser Befund beruhigen, tatsächlich tut er es nicht, da die Studie gleichzeitig feststellt, dass die Mit-
te mit einem neuen antidemokratischen Populismus konfrontiert ist,
„der sich zum Türöffner für Rechtsextremismus entwickelt hat. In Teilen ist die Mitte dafür offen. Mehr als jeder Fünfte zweifelt daran, dass Demokratie zu sachgerechten Entscheidungen führt, und meint, sie führe eher zu faulen Kompromissen. Knapp 20% sind der Meinung, es würde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen, ein knappes Viertel ist der Auffassung: ,Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechten gewähren‘. Und rund 16% unterstellen: ,Die regierenden Parteien betrügen das Volk‘. Die Analysen machen zudem deutlich: Dieser elitenkritische und antiplurale Populismus ist in Deutschland hoch korreliert mit der Abwertung sozialer Minderheiten, die als ‚fremd‘ markiert werden [...] Fast 23% stimmen zu: ,Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen‘. Diese Auffassungen sind empirisch eng mit dem Ruf nach Meinungsfreiheit bzw. der Unterstellung, die Meinungsfreiheit würde beschnitten, ebenso wie mit Ideologieelementen verknüpft, die von der Neuen Rechten unter dem Label des ,Ethnopluralismus‘ verbreitet werden“.
Gemäß diesem Befund der Friedrich-Ebert-Stiftung, den das LfV ebenso wie die im Rahmen der Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung getroffenen Aussagen teilt, „funktionieren“ die Sprachumdeutungen und Diskursverschiebungen der Neuen Rechten. Dieser Prozess soll sich laut seiner Protagonisten ohnehin nicht in einem einzigen (gewaltigen) Schritt von heute auf morgen vollziehen, sondern etappenweise geschehen. Es besteht also die Gefahr, dass sich die Sprache und Ideologie der Neuen Rechten weiterhin insbesondere in die Alltagskommunikation der Gesellschaft und damit in ihr Handeln einschleichen. Um dieser gezielten Manipulation vorzubeugen, gilt es, die Strategien der Neuen Rechten zu erkennen und ihre Ideologie in dem Spektrum von vermeintlich „harmlosen“ bis evident extremistischen Äußerungen zu entdecken und zu entlarven.
Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Versuche, die kulturelle Hegemonie zu erringen nicht nur zeitweise von „Erfolg“ gekrönt waren, sondern bis in unsere Gegenwart fortwirken: Wohl nur einem kleinen Teil der heutigen Bevölkerung ist bewusst, dass die Nationalsozialisten in der vor allem in Verwaltungsapparaten oft gebrauchten Buchstabiertafel ihrer Meinung nach explizit jüdische Namen durch „deutsche Begriffe“ (Nordpol“ statt „Nathan“) ersetzten. Geblieben ist die sehr zu bedauernde Tatsache, dass mit diesem Sprachverlust ein Bestandteil jüdischer Kultur aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden ist.
Stand: 24.03.2022