Seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden israelischen Militäroperationen im Gaza-Streifen kam es weltweit, aber auch in Deutschland zu einer enormen Zunahme israel-feindlicher bzw. antisemitischer Aktivitäten. Diese Entwicklung ist leider nicht neu. So hat das LfV Hessen bereits bei seinem Herbstgespräch 2017 für das Erstarken des Antisemitismus sensibilisiert und weist seitdem regelmäßig darauf hin, dass Antisemitismus in allen Extremismusbereichen - und auch abseits davon - feststellbar ist. Mit der phänomenbereichsübergreifenden wissenschaftlichen Analysestelle für Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) hat das LfV Hessen zudem eine Stelle geschaffen, die sich dauerhaft mit Antisemitismus und judenfeindlichen Narrativen beschäftigt.
Sensibilisierung
Was sagen eigentlich Rechtsextremisten zum Krieg im Nahen Osten?
Eine Form des Antisemitismus stellt der israelbezogene Antisemitismus dar, der von (legitimer) Kritik am israelischen Staat bzw. der israelischen Regierung deutlich abzugrenzen ist. Als eine Möglichkeit zur Unterscheidung hat sich der sogenannte 3D-Test etabliert: Antisemitismus liegt demnach dann vor, wenn die angebliche Kritik mit Dämonisierung, Doppelstandards oder Delegitimierung einhergeht.
Die Dämonisierung erfolgt, wenn beispielsweise Vergleiche zwischen Israel und dem Nationalsozialismus angestellt werden oder das Handeln Israels jenseits aller vernünftigen Proportionen dargestellt wird, um so Israel als Inbegriff des Bösen darzustellen. Unter Doppelstandards wird verstanden, wenn Kritik an Israel selektiv angewandt wird, also zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten oder Gruppierungen ignoriert werden. Eine Delegitimierung liegt vor, wenn versucht wird, dem Staat Israel seine grundsätzliche Legitimation zu entziehen und ihm das Existenzrecht abgesprochen wird. Hierzu zählt beispielsweise auch, wenn Israel das Recht auf Verteidigung abgesprochen wird.
Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und die dazugehörigen Verschwörungsnarrative sind ein wichtiger Bestandteil der Ideologie unterschiedlicher islamistischer Gruppierungen, die Positionierungen sind entsprechend pro-palästinensisch. Islamisten instrumentalisieren den Nahostkonflikt für eigene Zwecke und deklarieren diesen bspw. als Teil einer vermeintlichen grundsätzlichen globalen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen („Ungläubigen“) und als Bedrohung der muslimischen Identität. Hierdurch sollen nicht nur eigene Anhänger, sondern auch die Gesellschaft insgesamt (darunter vor allem Muslime) angesprochen werden. So warnte das LfV Hessen kürzlich vor einer antisemitischen Flyerkampagne der islamistischen Gruppierung „Realität Islam“, mit der diese erstmals die Mehrheitsbevölkerung anspricht.
Zudem tun sich im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt auch Teile der linksextremistischen Szene und Personen aus dem Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug mit Propaganda und Mobilisierungen zu israelfeindlichen Kundgebungen hervor. Die Solidarität deutscher Linksextremisten mit der palästinensischen Autonomiebewegung reicht bis in die Studentenbewegung der 1960er Jahre zurück. Diese Solidarität dauert heute insbesondere im antiimperialistisch geprägten Teil der linksextremistischen Szene weiter an und geht dabei auch immer wieder zum Antisemitismus über. In anderen Teilen der linksextremistischen Szene findet eine deutliche Distanzierung vom aktuellen (israelbezogenen) Antisemitismus statt.
Im Hinblick auf pro-palästinensische Aktivitäten ist anlassbezogen mitunter sogar eine Vermischung von Personen aus den extremistischen Phänomenbereichen Islamismus, Linksextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug (etwa Personen aus dem Umfeld der mittlerweile verbotenen Organisation „Samidoun“) festzustellen.
Rechtsextremisten und der Nahostkonflikt
Die obige Entwicklung ist medial bereits breit dargestellt und diskutiert worden. Wie aber positionieren sich rechtsextremistische Akteure in Hessen rund um den Nahostkonflikt?
Israelkritik bzw. Antisemitismus ist in großen Teilen der rechtsextremen Szene ein gemeinsamer Nenner.
So vertreibt etwa die rechtsextremistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ über den parteieigenen Materialvertrieb Sticker mit antiisraelischen bzw. antisemitischen Aufdrucken („Keine Solidarität mit Israel“, „Terrorstaat Israel“) und dem eigenen Parteilogo. Die Sticker stehen stellvertretend für die Agitation, die durch Rechtsextremisten am Staat Israel und Juden im Allgemeinen getätigt werden. Der darauf jeweils abgebildete Davidstern in der israelischen Flagge steht stellvertretend für das Judentum und wird daher auch in die Mitte der Sticker gerückt. Zudem sind auf beiden Sticker roten Flecken abgebildet, die Blut darstellen sollen, wodurch der Staat Israel und das Judentum als blutbefleckt bzw. schuldig dargestellt werden: Eine bekannte Vorgehensweise von Antisemiten, um den israelischen Staat und dessen Bevölkerung zu diffamieren. Einzelne Handlungen der israelischen Regierung oder des Militärs werden aus dem historischen und aktuellen Kontext gerissen und die daraus resultierenden antisemitischen Vorurteile erst auf die israelische Bevölkerung und dann auf Menschen jüdischen Glaubens im Allgemeinen übertragen.
Die rechtsextremistische Partei „DIE HEIMAT“ (vormals NPD) kritisiert den Staat Israel und vor allem die Solidarität, die diesem durch die Bundesregierung zu Teil wird. Das zentrale Argument, welches von Funktionären der Partei etwa auf Social-Media-Kanälen geäußert wird, ist, dass die Unterstützung Israels nicht im Interesse der deutschen Bevölkerung sei. Deutschland solle sich stattdessen neutral im Nahostkonflikt verhalten.
Innerhalb der „Neuen Rechten“ wiederum, wurden zum Teil Verschwörungsnarrative verbreitet, so etwa von dem rechtsextremistischen Compact-Magazin, das in im Internet veröffentlichten Artikeln in den Raum stellte, dass es sich bei der terroristischen Attacke der Hamas am 7. Oktober um eine „false flag“-Operation der Israelis handeln könnte oder die israelischen Geheimdienste im Vorfeld über die Attacken Bescheid wusste und sie wissentlich geschehen ließen, um einen Grund für eine militärische Eskalation zu haben.
Gleichzeitig entsteht für Rechtsextremisten in der Frage des Nahostkonflikts eine inhärente Ambivalenz, weil sie sich zwar einerseits klar gegen Israel positionieren und antisemitische Vorstellungen vertreten, sich andererseits aber auch nicht vollends mit den Gegnern Israels solidarisieren können, da sie gleichzeitig eine Überfremdung durch Muslime fürchten.
Diese Ambivalenz führt etwa dazu, dass der „III. Weg“ einerseits (im Einklang mit seiner antiisraelischen/antisemitischen Grundhaltung) die Einschränkungen von pro-palästinensischen Demonstrationen als Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert, aber andererseits die Zielsetzung verfolgt, Demonstrationen von Migranten gänzlich zu verbieten und die Zahl von Migranten durch Rückführungen und Ausreise maximal zu reduzieren.
Auch die „Neue Rechte“ bringt es nicht fertig, eine eindeutige Position zu ergreifen. Sie zieht sich auf die Position zurück, dass der Nahostkonflikt Deutschland nicht betreffe und man keine Partei für eine Seite ergreife. Auffällig ist hierbei jedoch, dass Israel zwar kritisiert wird und antisemitische Behauptungen getätigt werden, von den Akteuren aber zugleich betont wird, dass man ja neutral sei. Wie beim „III. Weg“ kritisiert aber auch die „Neue Rechte“ die pro-palästinensischen Proteste als Zeichen für eine vermeintliche Überfremdung Deutschlands und fordert eine strikte Abschottungs- und Rückführungspolitik gegenüber Migranten.
Insgesamt bedienen sich Rechtsextremisten bei der Thematisierung des Nahostkonfliktes klassischer antisemitischer (gegen Israel bzw. Juden gerichtet) und rassistischer (auch gegen Muslime gerichtet) Stereotype, die teilweise ganz offen kommuniziert und über szeneinterne Codes und Chiffren geteilt werden. Beispielsweise werden dabei Memes verwendet, in denen arabischstämmige Menschen als „sand people“ bezeichnet werden (in Anlehnung an die Film-Reihe „Star Wars“, wo die Sand-Leute oder auch Tusken-Räuber eine primitive humanoide Lebensform darstellen, die in Wüsten leben) und Juden mit der Figur des „happy merchant“ (eine Karikatur, die einen Juden mit allerlei stereotypen, antisemitischen Merkmalen, wie etwa Hakennase, verschlagenem Lächeln, gierigem Händereiben) dargestellt werden.
Suche nach Anschluss
Extremisten, insbesonders Rechtsextremisten versuchen über medial präsente Themen Aufmerksamkeit für sich zu generieren und zugleich eine Anschlussfähigkeit zu gesellschaftlichen Akteuren zu schaffen und sich als Teil des legitimen demokratischen Diskurses darzustellen (siehe Infokasten). Gerade im Themenfeld „Nahostkonflikt“ stellt sich dies aber aufgrund der ambivalenten Haltung, die letztendlich auf einer antisemitisch bzw. rassistisch basierten Ablehnung beider Konfliktparteien beruht, als schwierig dar.
Der Nahostkonflikt ist nicht das einzige gesellschaftlich relevante und breit-diskutierte Thema, das Rechtsextremisten versuchen für sich nutzbar zu machen. Bereits in der Vergangenheit bemühten sich Rechtsextremisten immer wieder öffentlichkeitswirksame Themen zu besetzen. So gelang es Ihnen etwa in den vergangenen Jahren teilweise Proteste gegen die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-Pandemie zu unterwandern bzw. zu instrumentalisieren. Versuche im Nachgang der Pandemie neue Themen (wie etwa Inflation oder Energieknappheit) aufzugreifen und zu einem „Wutwinter“ zu formen sind hingegen weitgehend gescheitert.
Ein aktuelles Beispiel für die Versuche Anschlussfähigkeit zu schaffen sind die derzeitigen Bauernproteste gegen die Beendigung der Subventionierung des Agrar-Diesels. Auch hier versuchen rechtsextremistische Akteure mittels Sympathiebekundungen und einer scheinbaren Verbrüderung Aufmerksamkeit für sich und ihre Themen zu schaffen sowie eine Anschlussfähigkeit herzustellen. Die Zielrichtung dabei ist vor allem maßgeblich das Erschließen neuer Wähler- und Sympathisantenpotentiale, wie auch das Nutzbarmachen der Proteste für die eigene - antidemokratische - Systemkritik.
Rechtsextremisten werden auch weiterhin versuchen, gesellschaftliche relevante Themen aufzugreifen und in ihrem Sinne und ihrem Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu instrumentalisieren.
Um Versuchen der Instrumentalisierung bzw. Beeinflussung entgegenzuwirken, rät das LfV Hessen grundsätzlich dazu, Positionierungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen stets kritisch zu prüfen, um zu einem differenzierten Blick auf die thematisierten Sachverhalte zu gelangen.
Stand: 17.01.2024
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